Wirtschaftspolitische Paradoxa
Was haben alle gescheiterten Theorien / Ideen / Systeme gemeinsam? Sie sind an ihren Widersprüchen gescheitert. Inspiriert zum folgenden Beitrag hat mich Marc Blyth in seinem Weckruf an die alte Tante SPD. Dort stellt er zunächst fest, was Deutschland statt der üblichen Legende „Hartz-Reformen“ wirklich den Vorteil an Wettbewerbsfähigkeit verschaft hat (der uns nach wie vor „Überschüsse“ in ungeahnten Ausmaßen einfahren lässt):
- die Deutsche Einheit – der Druck auf die Löhne ausgelöst von einem ca. 10 Millionen großen Heer an Arbeitskräften war gerade im ehemaligen Grenzgebiet enorm.
- Outsourcing der (Automobil-)Zulieferer nach Osteuropa (und weiter weg)
- Gewerkschaften, die aus Angst vor weiterer Arbeitsplatzverlagerung (und auf politischen Druck hin) vergessen haben, für die Arbeitnehmer einen gerechten Anteil gemessen am Produktivitätszuwachs einzufordern
Wenn wir also über Wettbewerbsvorteile reden – da kommen sie her. Hartz war noch das Tüpfelchen auf dem i, der Ausbau des Niedriglohnsektors und damit die Subventionierung von Vorleistungen. Er stellt richtigerweise fest, dass die Nachfrage nach Exportartikeln im Importland jeweils als Konsequenz der eigenen Wirtschaft das Wasser abgräbt. Das aber nur am Rande. Weiter im Text stößt man auf folgende Aussage:
The take home lesson is perhaps then that Germany is only Germany because everyone else is “not Germany.” To try and make everyone a bit more like Germany can only mean the expansion of a poorly paid service sector and the introduction of a minimum wage to compensate. I do not think that’s what structural reform advocates recommend, but it’s where we may end up.
Die deutsche Wirtschaft hat nur deswegen ihre „herausragende“ Exportstruktur, weil eben die anderen Länder genau nicht wie Deutschland sind. Jeder Versuch einer Angleichung durch dieselben „Reformen“ läuft darauf hinaus, dass die Wettbewerbsvorteile aus Sicht von Deutschland schwinden (und in einer Währungsunion zusätzlich deren Binnenmarkt zerstört wird). Es können eben nicht alle gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, da diese Größe nur eine relativen Vergleich liefert. Es ist paradox von Seiten der Politik zu fordern, dass es andere Länder Deutschland nur gleich tun müssten, und sie würden wieder auf den Erfolgspfad zurückkehren.
Dasselbe gilt für die Argumentations“logik“ bezüglich Überschuss/Defizit. Es ist sinnentleert, als Gläubiger die Reduzierung des Defizits auf Seiten des Schuldners zu fordern, dies aber gleichzeitig durch Beibehaltung der eigenen Überschüsse zu verunmöglichen. Paradox, aber es hält unsere Politiker nicht davon ab, weiter so zu tun, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte. Man kann es gar nicht oft genug sagen, Überschüsse auf der einen Seite bedingen Defizite an anderer Stelle.
Als vielleicht wichtigsten Punkt ist aber folgendes Dilemma zu nennen: Je mehr Gehirnschmalz in Produktivitätsfortschritte gesteckt und weitere Automatisierung betrieben wird, desto schneller entzieht man dem aktuellen System „Wirtschaft“ seine Grundlage. Diese ist immer noch Lohnarbeit, d.h. die Lohnempfänger konsumieren die produzierten Güter/Dienstleistungen. Der Spruch von Henry Ford lautete: „Autos kaufen keine Autos“. Er hat mit ordentlichen Lohnsteigerungen bei seinen Mitarbeitern den eigenen Erfolg erst möglich gemacht. Nur Maschinen und Roboter sind zwar hochproduktiv, sind aber keine Lohnempfänger. Man hat im Prinzip zwei gegenläufige Trends, einmal einen riesigen potentiellen Output an Gütern und gleichzeitig eine erodierende Kaufkraft bei der Masse an Leuten. Dazu kommen noch Sättigungseffekte bei den oberen 10%, die selbst in verschwenderischster Manier nur schwer hinterher kämen, ihre Einkommen wieder auszugeben.
Zu den aufgezählten Widersprüchen kommt noch das Wachstumsdogma hinzu: „Alles wird gut, so lange es nur wieder gelingt, Wirtschaftswachstum zu erzeugen.“ So touren dann selbst Gewerkschaftsbosse durch die Gegend. Da aber auch die die Ressourcenproblematik nicht komplett ausblenden können, diskutiert man bei der IG-Metall mittlerweile über cradle-to-cradle Ansätze. Immerhin, aber selbst bei möglichst ressourcenschonendem Umgang und hoher Recyclingquote stehen noch viele weitere Fragen im Raum. Wie gewöhnt man einer an Erdöl/-gas gewöhnte Gesellschaft möglichst sanft ihren verschwenderischen Lebensstil ab? An dieser Stelle entsteht schon der nächste Widerspruch. Auf nichts verzichten UND umweltschonende Lebensweise ist kaum miteinander zu verheiraten. Nur entziehen wir mit einem „weiter so“ unseren Nachkommen die Lebensgrundlage. Ich bin gespannt, wie es an der Stelle weitergeht, irgendwann muss man sich schließlich der Realität stellen.
guthabenkrise 8:58 pm am März 2, 2015 Permalink |
„cradle to cradle“ ist das richtige bild, wohin man die Produktivkräfte des Kapitalismus lenken muss. Braungard schreibt ja, „Wir können(müssen) die ganzen Welt neu erfinden“. Dazu muss man einfach Naturverbrauch statt Arbeit besteuern. Naturverbrauch ist eine Externalität, welche von Marktmechanismen nicht ausreichend erfasst wird. Selbst als ultraliberaler Ökonom könnte man Konzepte dafür befürworten – ich verstehe es einfach nicht, das Ökonmenversagen….
thewisemansfear 9:58 pm am März 2, 2015 Permalink |
Ja, mit diesen Widersprüchlichkeiten müssen die libs wohl leben… Ultraliberal wäre auch, dass überall auf der Welt gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten würde (Unterschiede gäbe es dann nur noch in Bezug auf die Produktivität). Das, was wir unter Kapitalismus verstehen, funktioniert ja nur unter Ausnutzung von Preisdifferenzen. c2c-Ansätze allein würden die Wirtschaft vollkommen umkrempeln, mit Kapitalismus herkömmlicher Art ist das nicht mehr vereinbar. Genauso wenig wie die Energiewende ins aktuelle Wirtschaftsgeschehen passt. Nachhaltigkeit und Profitstreben passen einfach nicht zusammen.
guthabenkrise 3:38 pm am März 3, 2015 Permalink |
>>>Nachhaltigkeit und Profitstreben passen einfach nicht zusammen.
Da bin ich ganz anderer Meinung – die Nachhaltigkeit muss nur profitabel werden und genau dies leistet die Besteuerung von Naturverbrauch statt Arbeit. Die ökologischen Rationalitätenfallen sind auch kein isoliertes Phänomen der Spezies „Unternehmer“. Mit Ideologie und Bürokratie wird man die ökologischen Herausforderungen nicht lösen, vielmehr ist n.m.E. gerade hier die Produktivkraft des Kapitalismus gefragt.
thewisemansfear 6:01 pm am März 3, 2015 Permalink |
Ja, es wird derzeit verdammt viel externalisiert, so dass eine „Fehlsteuerung“ über die preislichen Anreize vorliegt. Aber Nachhaltigkeit bedeutet ein Bewusstsein der Systemgrenzen, dass man nur so viel extrahieren kann, wie wieder nachwächst/von außen zugeführt wird. Innerhalb dieses Systems dann noch Kapitalakkumulation zu betreiben, ist sinnfrei oder findet nur in der Phantasie statt. Vielleicht fehlt es mir da auch nur an Vorstellungskraft 🙂
In einem System, was von außen betrachtet im Gleichgewicht ist (so verstehe ich „nachhaltig“), ist der Gewinn an einer Stelle zwingend der Verlust an anderer Stelle. An der einen Stelle baut man etwas auf und dafür geht woanders etwas zugrunde. Das macht schlicht keinen Sinn. Über neue Ideen sind solche Umbrüche nach wie vor wichtig (ähnl. Schumpeters „Kreativer Zerstörung“), aber so sinnentleert wie Wettbewerb gerade stattfindet, kommt man auf keinen grünen Zweig.
guthabenkrise 7:13 pm am März 3, 2015 Permalink |
>>>ist der Gewinn an einer Stelle zwingend der Verlust an anderer Stelle.
>>>Vielleicht fehlt es mir da auch nur an Vorstellungskraft
Da helf ich gern. 🙂
Der Gewinn ist, weniger Lenkungssteuer zu zahlen, dies ist theoretisch der Verlust des Staates. Aber kann dieser natürlich auch die Steuersätze immer mehr anpassen, was zur Verstärkung der Lenkungswirkung eh erforderlich ist.
1l Öl sind 10kWh – der Mensch leistet 0,1KW – bedeutet 1l Öl = 100h Menschenarbeit
bedeutet, nur ein maximal produktives System kann auf die billigen Fossilsklaven verzichten. Und der Kapitalismus leidet an Überproduktivität. deshalb kann man ideal den Ausstieg über Lenkungssteuern steuern – aber eben nur im produktiven Kapitalismus und nicht in einer unproduktiven „Bewusstseinswirtschaft“.
thewisemansfear 9:49 pm am März 3, 2015 Permalink |
Ja, okay, wir verteilen die notwendige Arbeit auf möglichst alle Köpfe um, indem Produktivität insgesamt reduziert wird. D.h. die Hochproduktiven genießen einfach mehr Freizeit oder die Umweltbedingungen erzwingen es, dass die Maschinen still stehen.
Ich erkenne nur noch nicht, wo das den o.g. Zusammenhang „widerlegt“. Wo ist das Nullsummenspiel von Gewinn und Verlust aufgehoben, bzw. wo ist der Sinn darin? Die einen erwirtschaften „Mehrwert“ und bekommen den anschließend wieder wegbesteuert, damit es nicht erneut zu Konzentrationsprozessen kommt. Wo zieht man die Grenze?
Die jetzige Spielanordnung taugt da m.E. nicht mehr.
guthabenkrise 10:21 pm am März 3, 2015 Permalink |
>>Wo ist das Nullsummenspiel von Gewinn und Verlust aufgehoben,
Bei den Sachwerten – das Nettovolksvermögen ist identisch mit Zuwachs an Sachvermögen.
Aber was ist der Sinn des Wirtschaftens?
Für die Deutschen das Sammeln von Ansprüchen auf Gegenleistung als Kompensation von Angst?
🙂 😦
also Geldvermögen = einem gesamtwirtschaftlichen Nullwert – wir verarmen am „Nullwertsparen“
Wirtschaften ist Bedürfnisbefriedigung und gegen die Angst hilft nur eine blümsche Sozialversicherung.
Und wenn man Markt STEUERert statt ihn zu zerstören, geht dies alles locker zu finanzieren.
Die zu steuernden Dinge sind recht trivial, Naturverbrauch und sonstige Externalitäten, Marktvermachtung und den Angebotszwang des Arbeitnehmers aus „Urschuld“. Dass man dies alles nicht macht hat immer wieder durchaus zutreffendes argument: „dann würde zu wenig investiert“.
Deshalb ist eine Guthabenbremse = Investitionsautomatik die „Mutter aller Reformen“ des Kapitalismus.
dann könnte man z.B. solche Dinge machen:
http://www.steuerndes-grundeinkommen.de