Der Ölpreis balanciert auf Messers Schneide
Beim heutigen Beitrag geht es um den Schmierstoff moderner (Volks-)Wirtschaften schlechthin – das Öl. In einem Fass (159l) steckt ein Energiegehalt von 5,88 GigaJoule, im Vergleich dazu verbraucht ein Mensch pro Tag in etwa 8,5 MegaJoule (ca. 2.000kcal). Aber um die menschliche Ernährung geht es bei dem Stoff nur sekundär, vielmehr um seine Rolle als „low-entropy“ Energiequelle. Wenn man sich vor Augen hält, dass man für diese Energie mal weniger als eine Handvoll Dollar hinblättern brauchte, dann wirkt das fast schon grotesk. Wie bei allem in der Welt gilt: ist im Überfluss davon da, besitzt es keinen monetären/zählbaren Wert. Erst mit einer Verknappung bildet sich dieser heraus.
Nach Angaben der International Energy Agency (IEA) sind 2011 weltweit knapp 89 Millionen Fass Rohöl pro Tag verbraucht worden. Die Peak-Oil Debatte existiert nicht erst seit gestern, man ist sich letztlich uneins, wie lange noch auf diesem Niveau weiter gefördert werden kann oder ob wir bereits das Fördermaximum überschritten hätten. Wer sich unbedarft mit der Diskussion auseinandersetzt, könnte schnell versucht sein, mit den Schultern zu zucken und dem „Problem“ keine große Relevanz beimessen, da Peak bedeuten würde, es wäre ungefähr nochmal so viel Öl vorhanden. Pustekuchen. Der Zusammenhang ist nicht so trivial.
Es gibt unterschiedliche Arten von Ölvorkommen
- crude oil (Rohöl), höchste Konzentration, sehr leicht zu extrahieren
- offshore oil (aus dem Meer gewonnenes Rohöl), ebenfalls hohe Konzentration, der Extraktionsaufwand nimmt zu (Bohrinseln)
- tar sands (in Teersanden gebundenes Öl), niedrigere Konzentration, höherer Aufwand zur Extraktion (Trennung mittels Chemie)
- shale oil (in Schiefergestein gebundenes Öl), im Vergleich die niedrigste Konzentration, erneut höherer Förderaufwand + Nutzbarmachung
Mit jeder dieser Stufen nimmt der Extraktionsaufwand zu. D.h. es steigen sowohl monetäre Kosten als auch energetischer Aufwand. Das Verhältnis von aufgewendeter zu gewonnener Energie sinkt, die Förderung wird zunehmend unökonomisch. Spätestens wenn man in Bereiche kommt, wo man kaum noch mehr „hinten raus“ bekommt, als von „vorne rein“ steckt, wird man von einer weiteren Förderung absehen. An dieser Stelle sollte klar werden, dass wir kein Problem ausgehender Rohstoffe haben, sondern dass ab einem Zeitpunkt X der weitere Abbau wegen schwindender Erträge (diminishing returns) nicht mehr lohnt. Der Rest an Rohstoffen verbleibt dann einfach ungenutzt in der Erde (siehe Quelle im Bild oben). Wichtig zu verstehen ist, dass sich diese Problematik auf so ziemlich alle mineralischen Abbauprodukte übertragen lässt, keinesfalls nur auf Öl begrenzt ist.
Das Dilemma um die Höhe des Preises
Der Preismechanismus soll ja nach Marktlogik® genau das gewährleisten: abschätzen zu können, wann sich etwas lohnt, bzw. nicht (mehr) lohnt. Der Ölpreis muss demnach steigen, damit die Erschließung der Vorkommen niedrigerer Konzentration weitergehen kann – andernfalls lohnt es nicht weiter. Die Kehrseite der Medaille ist die, dass sich höhere Energiepreise negativ auf das Wirtschaftswachstum® auswirken. Höhere Aufwendungen für Strom/Heizung/etc. verringern direkt das verfügbare Haushaltseinkommen für Konsum™. Das ist den Verantwortlichen nur allzu bewusst, sonst würden Forderungen nach „bezahlbarer Energie(wende)“ nicht so vehement von Politikern und Industrievertretern vertreten. Hier beißt sich die Katze allerdings in den Schwanz, denn ohne dass Energie teurer wird, erreicht man früher den Zeitpunkt, an dem die weitere Förderung nicht mehr rentabel durchzuführen ist. Das System steuert an dieser Stelle auf eine nicht zu überwindende Grenze zu.
Dieser empirische Beleg ist kein Nachweis kausaler Zusammenhänge. Man sieht jedoch gut, wie sich Öl- und Energiepreise relativ im Gleichtakt mit der Wirtschaftsentwicklung bewegen. Das führt uns direkt zum nächsten Schaubild, auf dem die Ausgaben/Aufwendungen (capital expenditures – capex) einiger der führenden Öl-/Energiemultis (entsprechen ca. 1/3 des Weltmarktes) aufgelistet sind:
Während der letzten 10 Jahre sind diese kontinuierlich auf das Fünffache gestiegen. Im selben Zeitraum ist die absolute Ölfördermenge auf dem selben (hohen) Niveau verharrt. Das trägt den oben genannten Zusammenhängen Rechnung, dass die Erschließung weiterer, weniger effizient auszubeutender Quellen nicht ohne monetären Mehraufwand vonstatten geht. Wichtig ist der Forecast, der bestenfalls stagniert oder nach einigen Prognosen sogar wieder sinken soll. Ein weiteres Zeichen, dass Aufwand/Nutzen für die Unternehmen in einem zunehmend ungünstigeren Verhältnis stehen.
Der Tanz auf Messers Schneide
Niemand kann konkret vorhersagen, welche Auswirkungen eine neuere wirtschaftliche Schwächephase für Auswirkungen haben wird. In der Weltpolitik sprießen die Konfliktherde geradezu wie Pilze aus dem Boden. Was für Auswirkungen ein neuerlicher Schock durch Platzen der nächsten Finanzmarkt-Blase hätte, lässt sich allenfalls erahnen. Dass der Ölpreis dadurch unter Druck gerät, steht außer Frage. Damit würden u.U. sofort weitere Investitionen bei der Förderung auf Eis gelegt, was sich mittel- und langfristig auf die globale Wirtschaft und damit jeden von uns auswirken wird. Ein Zurückkehren auf das alte Niveau würde wahrscheinlich Jahre dauern. So lange, bis sich der Preis wieder „erholt“ hätte und die Investitionen nachgeholt werden könnten. Unter Umständen wird das bisherige Niveau aber auch gar nicht mehr erreicht werden können.
Von verantwortungsvoller Politik (und deren Beratern) würde man erwarten, dass solcherlei Abhängigkeiten erkannt werden und man versucht, diese zu beseitigen. Wachstum in Form eines immer höher wachsenden tumbling-towers kann niemand ernsthaft wollen. Leider ist es so, dass Wachstum® längst zum nicht mehr hinterfragten Selbstzweck verkommen ist. Die Gründe dafür werden im kommenden Beitrag beleuchtet.