Wirtschaftspolitische Paradoxa

Was haben alle gescheiterten Theorien / Ideen / Systeme gemeinsam? Sie sind an ihren Widersprüchen gescheitert. Inspiriert zum folgenden Beitrag hat mich Marc Blyth in seinem Weckruf an die alte Tante SPD. Dort stellt er zunächst fest, was Deutschland statt der üblichen Legende „Hartz-Reformen“ wirklich den Vorteil an Wettbewerbsfähigkeit verschaft hat (der uns nach wie vor „Überschüsse“ in ungeahnten Ausmaßen einfahren lässt):

  1. die Deutsche Einheit – der Druck auf die Löhne ausgelöst von einem ca. 10 Millionen großen Heer an Arbeitskräften war gerade im ehemaligen Grenzgebiet enorm.
  2. Outsourcing der (Automobil-)Zulieferer nach Osteuropa (und weiter weg)
  3. Gewerkschaften, die aus Angst vor weiterer Arbeitsplatzverlagerung (und auf politischen Druck hin) vergessen haben, für die Arbeitnehmer einen gerechten Anteil gemessen am Produktivitätszuwachs einzufordern

Wenn wir also über Wettbewerbsvorteile reden – da kommen sie her. Hartz war noch das Tüpfelchen auf dem i, der Ausbau des Niedriglohnsektors und damit die Subventionierung von Vorleistungen. Er stellt richtigerweise fest, dass die Nachfrage nach Exportartikeln im Importland jeweils als Konsequenz der eigenen Wirtschaft das Wasser abgräbt. Das aber nur am Rande. Weiter im Text stößt man auf folgende Aussage:

The take home lesson is perhaps then that Germany is only Germany because everyone else is “not Germany.” To try and make everyone a bit more like Germany can only mean the expansion of a poorly paid service sector and the introduction of a minimum wage to compensate. I do not think that’s what structural reform advocates recommend, but it’s where we may end up.

Die deutsche Wirtschaft hat nur deswegen ihre „herausragende“ Exportstruktur, weil eben die anderen Länder genau nicht wie Deutschland sind. Jeder Versuch einer Angleichung durch dieselben „Reformen“ läuft darauf hinaus, dass die Wettbewerbsvorteile aus Sicht von Deutschland schwinden (und in einer Währungsunion zusätzlich deren Binnenmarkt zerstört wird). Es können eben nicht alle gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, da diese Größe nur eine relativen Vergleich liefert. Es ist paradox von Seiten der Politik zu fordern, dass es andere Länder Deutschland nur gleich tun müssten, und sie würden wieder auf den Erfolgspfad zurückkehren.

Dasselbe gilt für die Argumentations“logik“ bezüglich Überschuss/Defizit. Es ist sinnentleert, als Gläubiger die Reduzierung des Defizits auf Seiten des Schuldners zu fordern, dies aber gleichzeitig durch Beibehaltung der eigenen Überschüsse zu verunmöglichen. Paradox, aber es hält unsere Politiker nicht davon ab, weiter so zu tun, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte. Man kann es gar nicht oft genug sagen, Überschüsse auf der einen Seite bedingen Defizite an anderer Stelle.

Als vielleicht wichtigsten Punkt ist aber folgendes Dilemma zu nennen: Je mehr Gehirnschmalz in Produktivitätsfortschritte gesteckt und weitere Automatisierung betrieben wird, desto schneller entzieht man dem aktuellen System „Wirtschaft“ seine Grundlage. Diese ist immer noch Lohnarbeit, d.h. die Lohnempfänger konsumieren die produzierten Güter/Dienstleistungen. Der Spruch von Henry Ford lautete: „Autos kaufen keine Autos“. Er hat mit ordentlichen Lohnsteigerungen bei seinen Mitarbeitern den eigenen Erfolg erst möglich gemacht. Nur Maschinen und Roboter sind zwar hochproduktiv, sind aber keine Lohnempfänger. Man hat im Prinzip zwei gegenläufige Trends, einmal einen riesigen potentiellen Output an Gütern und gleichzeitig eine erodierende Kaufkraft bei der Masse an Leuten. Dazu kommen noch Sättigungseffekte bei den oberen 10%, die selbst in verschwenderischster Manier nur schwer hinterher kämen, ihre Einkommen wieder auszugeben.

Zu den aufgezählten Widersprüchen kommt noch das Wachstumsdogma hinzu: „Alles wird gut, so lange es nur wieder gelingt, Wirtschaftswachstum zu erzeugen.“ So touren dann selbst Gewerkschaftsbosse durch die Gegend. Da aber auch die die Ressourcenproblematik nicht komplett ausblenden können, diskutiert man bei der IG-Metall mittlerweile über cradle-to-cradle Ansätze. Immerhin, aber selbst bei möglichst ressourcenschonendem Umgang und hoher Recyclingquote stehen noch viele weitere Fragen im Raum. Wie gewöhnt man einer an Erdöl/-gas gewöhnte Gesellschaft möglichst sanft ihren verschwenderischen Lebensstil ab? An dieser Stelle entsteht schon der nächste Widerspruch. Auf nichts verzichten UND umweltschonende Lebensweise ist kaum miteinander zu verheiraten. Nur entziehen wir mit einem „weiter so“ unseren Nachkommen die Lebensgrundlage. Ich bin gespannt, wie es an der Stelle weitergeht, irgendwann muss man sich schließlich der Realität stellen.

 

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