Was ist nachhaltiges Wachstum? 

Ulrike Herrmann hat in ihrem Buch „Der Sieg des Kapitals“ den entscheidenden Widerspruch in der herrschenden Wirtschafts-Wachstumslogik aufgezeigt: die Unverträglichkeit exponentiellen Wachstums in der aktuellen Realwirtschaft. So schreibt sie als generelle Kritik formuliert:

Die treibende Kraft in diesem System ist die Idee, dass man Geld investiert, damit hinterher mehr Geld herauskommt. Wenn dies kein Schneeballsystem sein soll, bei dem sich das Vermögen nur auf dem Papier vermehrt, dann muss gleichzeitig die Gütermenge steigen. Reales Wachstum kann es jedoch nur durch technischen Fortschritt geben, was umgekehrt bedeutet: Ohne technischen Fortschritt ist der Kapitalismus am Ende.“ (s.o., S. 83)

Man muss daher in der Debatte zwischen virtuellem und realem Wachstum differenzieren. Zu ersterem gehört die Asset-Inflation (z.B. bei Häusern und Grundstücken, Aktien auf dem Sekundärmarkt, etc. Dies sind reine Transaktionen, ein Mehrwert kommt nur durch den Glauben an eine weitere positive Gesamtentwicklung zustande.), zu letzterem ein fassbares, messbares Mehr an Gütern. Genau das ist aber auf Grund der Endlichkeit der Ressourcen bzw. der auf der Erde verfügbaren/nutzbaren Energie nur begrenzt möglich! Werner Lieb von den Nachdenkseiten hat in seiner Rezension des Buches die aus seiner Sicht pauschalisierende Wachstumskritik bemängelt:

Wenn eine bestimmte Größe in der Zeit um einen bestimmten Prozentsatz wächst, bekommt man eine Exponentialfunktion, eine Kurve, die im Himmel endet. Das ist mathematisch unausweichlich und scheint vielleicht deshalb auf den ersten Blick für Viele als so zwingend.

Ja, es scheint nicht nur zwingend, sondern es ist logisch zwingend. Nirgendwo in der Natur gibt es Entsprechungen für stabiles, exponentielles Wachstum – allein die beiden Attribute stabil und exponentiell zusammen sind paradox. Beispiele für Effekte mit Exponentialfunktion:

  • eine typische Rückkopplung beim Konzert, wenn das Mikro die Signale aus den Lautsprechern wieder einfängt und erneut verstärkt. Das schaukelt sich in Sekundenbruchteilen zu einem schrillen, ohrenbetäubendem „Ton“ hoch. Hierbei geht wohlgemerkt das Verstärkersystem in die Begrenzung (so welche eingebaut sind), ansonsten würde das schwächste Glied der Kette schnell „nachgeben“ – es wäre wieder Ruhe und das System im Eimer.
  • auf biologischer Ebene können Bakterienpopulationen mit ausreichend Nährstoffen (Energie) ein solches Wachstum hinlegen, ansonsten findet man solches Verhalten bei Tumoren, wobei auch hier das Wachstum zu einem abrupten Ende kommt, sobald die Energiezufuhr nicht mehr ausreicht.

Uns Menschen fehlt es dazu auch an Vorstellungsvermögen, man lausche den Ausführungen von Margot Kennedy. Sinngemäß sagt sie, dass es zur grundlegenden Schulbildung gehören sollte, dass exponentielles Wachstum im materiellen Bereich nie von Dauer sein kann. Der Mensch als anpassungsfähiges Wesen hat sich mittlerweile schlicht an „immerwährendes Wachstum“ gewöhnt. Seit der Nachkriegszeit geht es beständig (mit kurzen Aussetzern, die allerdings in immer kürzerer Abfolge auftreten!) nur in eine Richtung. Wir nehmen die Welt und das Geschehen um uns herum als Normalität wahr (der Mensch als „Gewohnheitstier“), kein Wunder, dass man mit der Info, dass es so wie bisher nicht weiter gehen kann, keine offenen Türen einrennt.

Woran machen wir Wirtschaftswachstum überhaupt fest? Wir erfassen alle getätigten Transaktionen, bilden quasi den Umsatz der nationalen Wirtschaft im Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab. Eine einzige Kenngröße, die von Bedeutung sein soll, ob es uns nun „besser geht“ (wachsend) oder nicht (stagnierend oder fallend). Im Aufaddieren von wirtschaftlichen Tätigkeiten wird in keinster Weise zwischen guten und schlechten Dingen differenziert. Kosten zur Beseitigung von Umweltschäden oder Unfällen aller Art schlagen sich positiv in dieser Kennzahl nieder. Alles, was in irgendeiner Form Umsatz bringt ist „gut“, der Rest an freiwilligen Tätigkeiten, sozialen Engagements, usw. spielt keine Rolle. Die Fixierung auf BIP-Wachstum ist vollkommen untauglich, um diesem ganzen Treiben einen Sinn zu geben.

Nun ist es so, dass bereits zum Aufrechterhalten einer einmal geschaffenen Systems („Ordnung“) Energie aufgewandt werden muss. Die dazu notwendige Energie nimmt mit der Komplexität des Systems zu. Wir kennen das am verlotternden Schreibtisch des chaotischen Arbeitskollegen oder dem Kinderspielzimmer. Um Ordnung ins Chaos zu bringen muss Energie aufgewandt werden. Im Großen sind damit Aufwendungen an verfallender Infrastruktur gemeint, der „Zahn der Zeit“ sorgt sonst für die langwierige Rückumwandlung in „chaotischere“ Zustände.

Erst recht benötigt man (mehr) Energie für reales Wachstum, allerdings ist dies nicht unabhängig von der Physik und den Energieerhaltungssätzen. In deedls blog ist das sehr anschaulich  (unbedingt lesenswert) erklärt. Aktuell wenden wir quasi die Energie auf, die über einen längeren Zeitraum auf und in der Erde „gespeichert“ wurde. Übertragen gesagt leben wir also auf Pump, nur irgendwann sind die über einen sehr langen Zeitraum angesammelten Reserven aufgebraucht und wenn dann bei der Umstellung auf nachhaltige Energieversorgung eine riesige Lücke zwischen Bedarf und Angebot klafft, dürfte es zu massiven Verwerfungen kommen.

In der heutigen finanzorientierten Wirtschaft bin ich immerzu geneigt, den Zins als eigentlichen Wachstumstreiber anzusehen. Frau Herrmann versucht dies in ihrem Buch dadurch zu entkräften, dass es den Zins bereits zu Zeiten stagnierender Wirtschaft gab und trotz dessen kein Wachstum erzeugt wurde. Das ist soweit nachvollziehbar, allerdings möchte ich zwei Kritikpunkte anbringen:

  1. In Mesopotamien wurde durch die entstehenden Schuldknechtschaften (zinsystembedingt) mit jedem Herrscherwechsel ein (Privat-)Schuldenerlass – tabula rasa – durchgeführt, das System quasi für den einfachen Bürger „resettet“.     Wachstum hätte man zu damaligen Zeiten wahrscheinlich gerne generiert, allerdings fehlte eine wichtige Zutat: Energie.
  2. Der Zins wird im heutigen wirtschaftlichen Umfeld als unkritisch dargestellt, weil er durch neu geschaffenes Wachstum unproblematisch sei. Bei genauerem Hinsehen ein klassischer Zirkelschluss zur Rechtfertigung.
  • Man kann sich daher merken, dass das Zinssystem (eben auch wegen des exponentiellen Charakters) sehr wohl problematisch ist. In stagnierenden Wirtschaften läuft es auf hoffnungslose Verschuldung breiter Massen und Vermögenskonzentration bei immer Wenigeren hinaus, so dass regelmäßig resettet werden muss. Mit Wirtschaftswachstum nährt man die Illusion, dass auch die breite Masse in einem solchen System dauerhaft profitieren könne.

So dauerte es bis zum Beginn der industriellen Revolution in England, bis der Funke endlich?! zündete und der Wachstumsmotor ansprang. Dampfkraft wurde wohl bereits zu Zeiten der Römer genutzt, allein die Kenntnis der Technologie reichte nicht aus, um den Motor zu starten. Über Kohle hin zu Öl, Gas und Uran werden seitdem konventionelle Energieträger abgebaut, um den wachsenden Fortschritt am Laufen zu halten. Dabei wird von den reichhaltigen „Ersparnissen“ aus der Vergangenheit gezehrt, was keine nachhaltige Entwicklung darstellt.

Nachhaltiges (reales) Wachstum strebt immer gegen eine Grenze und ist nie exponentiell. Ein Baum mag in jungen Jahren exponentielles Wachstum an den Tag legen, aber das ist nur eine Phase seines Lebens. Auf lange Sicht strebt er einer optimalen Größe entgegen, die durch die zuführbare bzw. aufnehmbare Energie (Licht, Wasser, Nährstoffe) begrenzt ist. Auf die heutige Zeit bezogen mag es uns daher so vorkommen, als könnten wir für ewig so weiter machen (es geht ja schließlich schon etliche Jahrzehnte so!), aber damit sitzen wir einen gewaltigen Trugschluss auf.

Warum nun dieser Artikel in seiner Länge? Nun, selbst – oder besser gesagt gerade auf den Nachdenkseiten wird über Wachstumskritik nicht gerne nachgedacht bzw. wird diese als sozialstaatsfeinlich gebrandmarkt. Den in meinen Augen unbefriedigenden Diskussionsverlauf findet man hier auf den NDS [1] [3 – Replik auf 2] und hier als [2- Replik auf [1]. Aus (durchaus berechtigter) Angst, dem politischen Gegner damit in die Hände zu spielen, wird diese Kritik mehr oder weniger fadenscheinig abgebügelt. Dabei liegen die Positionen gar nicht so weit auseinander. Wachstum ja, aber nachhaltig muss es sein. Der Zins macht nun aber gerade exponentielles Wachstum notwendig, was eben nicht nachhaltig sein kann. Ur-Keynesianisches Denken (vgl. Wolfgang Waldners Serie bei flassbeck-economics) nach dem Motto „mehr von allem“ erzeugt genau den in diesem Beitrag aufgezeigten Widerspruch und wird nicht erneut funktionieren. Eine echte Diskussion darüber vermeiden zu wollen, da man sonst vergessen geglaubte Verteilungskonflikte neu adressieren müsste, bringt niemanden weiter (bis auf die Besitzstandswahrer). Die Menschheit wird sich über kurz oder lang in viel größerem Maßstab als jetzt mit der Verteilungssituation auseinander setzen müssen.

edith [21:45]: Interessant, dass gerade jetzt eine Meldung bei SPON über den Ticker läuft: Der chinesische Botschafter hält die bisherigen Wachstumsraten für nicht länger haltbar. Grund: Energiemangel!
„Unser jetziges Wirtschaftsmodell ist auf Dauer nicht zu halten“, sagte Shi Mingde dem „Tagesspiegel“ laut einer Vorabmeldung.“Um etwas herzustellen, brauchen wir viermal so viel Energie wie in Europa und siebenmal so viel wie in Japan“, kritisierte der Diplomat. Die Umwelt in China werde dadurch schwer belastet, gleichzeitig seien die Ressourcen begrenzt.

edith 2 [29.12.]: Wie ich in den letzten Tagen häufiger feststellen musste, hat sich Georg Trappe bereits im letzten Jahr recht umfassend mit demselben Thema auseinandergesetzt. Sehr empfehlenswerter Beitrag!

edith 3 [05.01.]: Überarbeitung der Einleitung sowie kleinere Korrekturen und Anfügungen.