Das Ölkartell: dank Wettbewerbsideologie im Selbstzerstörungsmodus
„Ölpreis schmiert ab“ titelt das Handelsblatt in einer aktuellen Meldung. Schuld daran sei das Festhalten der OPEC an den aktuellen Fördermengen. Allen voran Saudi-Arabiens Ölminister Al-Naimi wird zitiert mit:
„Niemand sollte kürzen, und der Markt wird sich von selbst stabilisieren.“
Ahja, der Mann muss es wissen… Die Funktionsweise „des Marktes“ ist klar: düstere Zukunftsaussichten mit geringerer Öl- bzw. Energienachfrage bei gleichbleibendem Angebot bzw. Fördermenge drückt den Preis, bis das vielbeschworene Gleichgewicht im Markt wieder gefunden ist. Wie wunderbar dieser Mechanismus funktioniert, sieht insbesondere am Langfristchart sehr beeindruckend aus (Augenmerk um 2008 herum):
2007/08 war man voller überschwänglicher Erwartungen in die wirtschaftliche Entwicklung (noch vollkommen untertrieben) – bis die Blase geplatzt ist. Jetzt verkehren sich die Vorzeichen, nur anstatt mit Förderkürzungen das Angebot zu verknappen, um den Preis möglichst stabil auf hohem Niveau zu halten (ist ja auch eine psychologische Maßnahme, die die Erwartungshaltung der Marktspezis erfüllen würde) passiert genau – nichts. Ist ein Kartell normalerweise dazu gedacht, durch unerlaubte Preisabsprachen den Preis für eine Sache künstlich nach oben zu treiben, steht die Wettbewerbsideologie dem nun konträr im Wege.
Wie ist das erklärbar? Eigentlich ganz einfach, es ist wohl so ähnlich wie: Wer zuerst zuckt, hat verloren. Wer einseitig die Fördermenge verknappt, ohne dass der Rest mitspielt, gibt am Ende Marktanteile ab und im schlimmsten Fall verpufft die Reduzierung nahezu vollständig ohne Stabilisierungswirkung auf den Preis. So argumentiert denn auch Saudi-Arabien.
Die Angst vor der Konkurrenz, die einen überrollt, wenn man nicht 110% gibt
So wendet sich die Wettbewerbsideologie am Ende gegen die Systemprofiteure. Wäre eigentlich eine schöne Anekdote, wenn die Folgen für die gesamte Weltwirtschaft nicht so beträchtlich wären. Man muss sich das nur mal vor Augen halten: In Zeiten steigender Preise und berauschender Zukunftsaussichten kann sich niemand der Akteure erlauben, kürzer zu treten, man ist in ständiger Furcht davor, sonst Marktanteile an die Konkurrenz abzugeben. Also wird alternativlos aufs Gas getreten, neue Fördermöglichkeiten ersonnen und umgesetzt, nur um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Ich habe in der Solarindustrie den Boom live miterlebt, da gab es kein Durchschnaufen, nein, da wurden alle möglichen Anstrengungen unternommen, das bestehende System so gut es geht zu skalieren und die Produktionskapazitäten auszubauen. Blöd wird es dann, wenn man langsam realisiert, dass man hier ein Hamsterrad antreibt, was unter den eigenen Füßen ein Eigenleben entwickelt und einen umzureißen droht. Die Blase an übertriebener Erwartungshaltung ist geplatzt, man leckt sich immer noch die Wunden davon. Aktuelle Kapazitätsauslastung? Lieber nicht nachfragen…
Sinken nun die Zukunftsaussichten, vermag es dank derselben Ideologie wieder der Einzelne nicht, dem sich in Gegenrichtung drehenden Hamsterrad zu entkommen. Wer nicht mitzieht, läuft am Ende Gefahr, Marktanteile abzugeben. Wir werden sehen, an welcher Stelle sich der Markt wieder von selbst „stabilisiert“.
Folgen für die Weltwirtschaft
In einer Wirtschaft, in der vor allem durch langfristige Anreizsysteme gesteuert wird, sind sinkende Preissignale bei Energie fatal. Kurzfristig bringen sie Entlastung bei den Verbrauchern, aber langfristig werden damit Investitionen in (jetzt noch) teure Entwicklungen unattraktiv und eingestellt. Die Ölproduzenten können ein Lied davon singen, etliche aktuelle Fördertechniken rentieren sich erst oberhalb einer gewissen Preisschwelle. Mal eben eine Öl-/Gasquelle abschalten und dann wieder aktivieren, wenn der Preis wieder genehm ist, funktioniert jedenfalls nicht.
Als kurzes Fazit an dieser Stelle: Statt relative Preisstabilität mit langsam steigenden (oder fallendem) Verlauf sehen wir dank Wettbewerbsideologie ein kurz aufeinander folgendes Auf- und Ab von Über- und Untertreibungen. Das ist keine Wirtschaftsordnung, die langfristig überleben wird. Mit effektiver Ressourcenallokation hat das nichts im Entferntesten zu tun. Wenn man denn feststellt, dass der jetzige Talflug übertrieben ist, geht der Schweinezyklus von vorne los. Bis dahin sind aber reale Produktionskapazitäten verschwunden und müssen erst aufwändig wieder aufgebaut/aktiviert werden. Herdentrieb at its best.
An einen ausführlicheren Beitrag zum Thema sei hier verwiesen: Trifft Russland Venezuela auf dem Weg zu einer zweiten OPEC?
Update 08.12.: Auch Heiner Flassbeck hat das Sinken des Ölpreises in einem Radiointerview thematisiert: Der stark gesunkene Ölpreis: Ein ökologischer Rückschlag
bertrandolf 10:13 am am November 30, 2014 Permalink |
Das in der Marktwirtschaft ständig Schweinezyklen auftreten ist aber nicht unbedingt etwas neues.
thewisemansfear 3:48 pm am November 30, 2014 Permalink |
Ich betrachte das aus der Sicht eines Ingenieurs. Und wenn es wie oben zu sehen zu einem solchen Schwingungsverhalten kommt, dann gehört im System eine Dämpfung nachgerüstet. Der Öl-/Energiepreis ist nicht irgendetwas. Der hat in unseren modernen Dienstleistungs- und Industriegesellschaften eine Schlüsselrolle inne.
Der Abstand der einzelnen Zyklusphasen wird zunehmend kürzer, so ist keine langfristige Planung mehr möglich. Das führt das ganze (Wirtschafts-)System ad absurdum.
Das sollte eigentlich rüberkommen.
Schauen Sie sich diesen Beitrag von Chris Martenson an, diesen Gegebenheiten sollte der Energie-/Rohstoffpreis eigentlich Rechnung tragen: https://www.youtube.com/watch?v=is0Ww5lu6Pg